mike Site Admin
Anmeldungsdatum: 19.12.2005 Beiträge: 4877
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Verfasst am: 19.12.2010, 13:40 Titel: "Der Arzt sollte Fehler eingestehen dürfen" |
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Erschienen am 24.11.2010
"Der Arzt sollte Fehler eingestehen dürfen"
Sie steht Betroffenen nach einem Ärztepfusch mit Rat und Tat zur Seite: Monika Hauser, Bundesvorsitzende des Arbeitskreises Medizingeschädigter.
Monika Hauser
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In Deutschland sterben laut der Uni Münster jährlich rund 6000 Menschen wegen ärztlicher Kunstfehler, außerdem es soll über 40 000 Behandlungsfehler-Vorwürfe geben. Stimmen die Daten mit Ihren Erfahrungen überein?
Diese Zahlen sind viel zu niedrig angesetzt. Unseren Schätzungen nach dürfte die Zahl der Menschen, die jedes Jahr durch Kunstfehler sterben, bei mindestens 10 000 liegen. In diesen Statistiken tauchen nur die Fälle auf, die den ärztlichen Schlichtungsstellen gemeldet werden, was nicht immer der Fall ist. In Deutschland gibt es, anders als etwa in Großbritannien, kein zentrales Melderegister für Behandlungsfehler. In Großbritannien wird alles offen gelegt. Wenn ein Kunstfehler vorliegt, muss der betreffende Arzt das melden, sonst verliert er seine Approbation. Auch Kollegen, die von einem Kunstfehler erfahren, müssen das melden, sonst passiert ihnen das Gleiche. Das wünschen wir uns auch für Deutschland.
Wo kommt es am häufigsten zu Behandlungsfehlern?
Bei Geburten passiert viel und vor allem bei Operationen. Ein großes Problem sind auch Hygienemängel in den Krankenhäusern. Desinfektionsmittel beim Händewaschen wirken beispielsweise nur dann richtig, wenn sie mindestens 30 Sekunden einwirken. Welcher Pfleger beziehungsweise welche Schwester hat dafür heute noch Zeit - bei der enormen Arbeitsbelastung in den Krankenhäusern?
Wie viele Betroffene melden sich bei Ihnen?
Wir haben pro Jahr zwischen 15 000 und 17 000 Anrufe. Manchmal kommen an einem Tag bis zu 100 Anrufe. Und ich schätze mal, in 80 Prozent der Fälle liegt tatsächlich ein ärztlicher Behandlungsfehler vor. Nur: Das zu beweisen, ist äußerst schwierig. Um alles durchzustehen, braucht man einen langen Atem.
Wie finden Sie heraus, ob ein Behandlungsfehler vorliegt?
Wir fordern erst einmal die Krankenhausunterlagen an, die stehen jedem Patienten in Kopie zu. Darin sind die so genannten Optipläne, in denen alles dokumentiert ist: Fieberkurven, Wasserlassen, Stuhlgang, wann der Patient gegessen hat, welche Medikamente und Infusionen er bekommen hat und vieles mehr. Daraus kann man sehr viel ablesen.
Wie helfen Sie den Betroffenen?
Wir haben zum Beispiel eine kostenlose Anwalts-Hotline eingerichtet: Jeden letzten Donnerstag im Monat sitzen von 15 bis 18 Uhr zwei Anwälte für Medizinrecht in unserem Patientenbüro. Da können die Leute zwanglos anrufen und sich informieren. Ganz wichtig ist auch der seelische Beistand, den wir leisten. Viele Leute sind ja am Boden zerstört und brauchen jemanden zum Zuhören. Mein längstes Gespräch hat mal fünfeinhalb Stunden gedauert.
Woher nehmen Sie die Kraft dafür?
Ich bin ein relativ humorvoller Mensch, sonst ginge das gar nicht. Und meine Familie gibt mir sehr viel Kraft, mein Mann, meine Tochter, mein Sohn und meine drei Enkelkinder.
Sie sind selbst von einem ärztlichen Behandlungsfehler betroffen.
Ja, ich habe eine inkomplette Querschnittslähmung. Ohne Krücken kann ich nur kurze Strecken gehen, ansonsten sitze ich im Rollstuhl. Am schlimmsten sind die Nervenschmerzen, die ich ständig habe. Vor allem, wenn das Wetter umschlägt, habe ich das Gefühl, dass es mir die Beine zerreißt. Aber man kann nichts dagegen machen. Medikamente, die ich früher dagegen bekommen habe, werden von der Krankenkasse nicht mehr bezahlt.
Wie kam es dazu?
Nach einigen Bandscheibenvorfällen wurde mir 1997 eine Schmerzpumpe eingesetzt. Dabei wurde ein Schlauch neben der Wirbelsäule hochgeschoben, direkt neben dem Spinalkanal. Dabei müssen bei mir Nerven am Rückenmark verletzt worden sein. Als ich aufgewacht bin, konnte ich mich nicht im Bett drehen, nicht sitzen, es ging gar nichts mehr. Die Hände und der Kopf waren das einzige, was noch funktioniert hat.
Wurde der verantwortliche Arzt zur Rechenschaft gezogen?
Nein. Der hat meinen Fall zwar seiner Haftpflichtversicherung gemeldet. Aber die hat ihm geraten, dass er das auf die Psychoschiene abschieben soll: Ich könne nur deshalb nicht laufen, weil ich eine psychische Blockade hätte.
Sie konnten sich nicht wehren?
Damals hatte ich keine Rechtsschutzversicherung. Und einen vernünftigen Gutachter konnte ich mir nicht leisten, denn das kostet zwischen 3000 und 5000 Euro.
Aber es gibt doch die ärztlichen Schlichtungsstellen, die kostenlos arbeiten.
Die sind aber nicht immer neutral, schließlich werden sie von den Ärzten und den Haftpflichtversicherungen finanziert. Was soll denn dabei herauskommen? Dort wird nur anhand der Aktenlage geurteilt. Selbst wenn ein wichtiges Schriftstück fehlt oder die Patientenakte nicht vollständig ist, interessiert das nicht.
Sie fordern also neutrale Gutachterstellen.
Ja, und der Arzt sollte seinen Fehler eingestehen dürfen. Der Knackpunkt sind nämlich die Haftpflichtversicherungen, die den betroffenen Ärzten vorschreiben, nichts schriftlich einzugestehen, sonst verlieren sie ihren Versicherungsschutz.
Haben Sie überhaupt noch Vertrauen in die Medizin?
Klar. Wir sind doch nicht gegen alle Ärzte, sondern nur gegen die schwarzen Schafe. Allerdings habe ich kein blindes Vertrauen, sondern ein "nachfragendes". Das ist überhaupt ganz wichtig: Man sollte immer fragen, fragen, fragen, den Arzt löchern, bis man alles versteht.
Das Gespräch führte Brigitte Degelmann
Hilfe für Opfer
Der Arbeitskreis Medizingeschädigter (AKMG) wurde 1995 gegründet. Im Vorstand sind nur Personen, die selbst oder deren gesetzliche Vertreter, Lebensgefährten oder nahe Angehörige Opfer einer Fehlbehandlung wurden. Für Mitglieder bietet der AKMG kostenlos Beratung, Veranstaltungen und Anwaltslisten an. Jeden letzten Donnerstag im Monat gibt es von 15 bis 18 Uhr kostenlose Telefonsprechstunden mit Anwälten für Medizinrecht. Auch Nichtmitglieder dürfen anrufen. Kontakt: AKMG-Patientenbüro, Salzstraße 18, 88316 Isny im Allgäu, Telefon: 07562/3995, Fax: 07562/981458, E-Mail: m.hauser@akmg.de.
Internet: unzulässige Wortwahlakmg.de.
Quelle/Link:.frankenpost.de/nachrichten/special/gesundheitswochen/gesundheitswochen+2010./art60211,1378372
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